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Die Stressreaktion

In diesem Abschnitt wird erklärt, wie die Stressreaktion im menschlichen Körper funktioniert und wie sie mit anderen Prozessen im Organismus zusammenhängt.

Da chronischer Stress nach unserer Hypothese eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von CFS spielt, ist es wichtig zu verstehen, wie verheerend sich eine dauerhaft aktivierte Stressreaktion auf verschiedene Körpersysteme auswirken kann.

Wie unsere Stressreaktion funktioniert

 

Was haben eine Covidinfektion, das Pfeiffersche Drüsenfieber (EBV), Übertraining und Existenzängste gemeinsam?

 

Sie alle sind Stressoren. Solange wir nur kurzfristig damit zu kämpfen haben, kommen wir gut zurecht. Stauen sich die Stressoren jedoch über Monate oder Jahre auf, führt dies zu chronischem Stress. Dieser kann fatale Folgen auf den gesamten Organismus haben und ist ein zentraler Bestandteil der Entstehung von CFS. Die folgende Vertiefung in das Thema der Stressreaktion soll dir verständlich machen, weshalb Stress und CFS so eng zusammenhängen (gemeinsam mit der hier erläuterten Störung der neurovegetativen und neuroimmunologischen Steuerung). 

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Die zwei Stressachsen

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Das Gehirn verarbeitet kontinuierlich Informationen aus der Umwelt und dem Körperinneren. Auf dieser Basis entscheidet es in jedem Moment, ob eine Situation sicher oder gefährlich ist. Sobald es eine reale oder gefühlte Gefahr wahrnimmt, aktiviert es eine Stressreaktion. 

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Dazu stehen dem Gehirn grundsätzlich zwei Hauptmechanismen zur Verfügung:

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  1. Der schnelle elektrische Weg: Dieser erfolgt über das autonome Nervensystem (ANS), insbesondere den sympathischen Anteil, der eine sofortige Kampf-oder-Flucht-Reaktion (Fight-or-Flight) auslöst.

  2. Der langsamere hormonelle Weg: Dieser läuft über die sogenannte HHN-Achse (engl.: HPA Axis). Diese aktiviert längerfristige Stressantworten durch die Freisetzung von Hormonen wie Cortisol.

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Beide Mechanismen werden massgeblich vom Gehirn gesteuert, insbesondere vom limbischen System.

 

 

Das limbische System

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​​Das limbische System besteht aus einer Vielzahl an Hirnstrukturen. Für ein besseres Verständnis erachten wir die folgenden als besonders relevant. Wir geben jeweils ein anschauliches Beispiel zu ihren Funktionen und erläutern auch die spezifische Rolle im Zusammenhang mit CFS (gemäss unserer Hypothese):

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Amygdala

Sie ist für das Erkennen von Gefahr und das Auslösen emotionaler Reaktionen zuständig. Sobald sie eine Gefahr wahrnimmt, sendet sie Signale an den Hypothalamus.

Anschauliches Beispiel: Wenn du plötzlich einen lauten Knall hörst, ist die Amygdala für die sofortige Schreckreaktion verantwortlich, bevor du die Situation bewusst analysierst.

CFS: Die Amygdala registriert neuroplastische Symptome von CFS als Gefahr und hält damit eine Art "limbischen Loop" aufrecht. Dieser entsteht dadurch, dass die Amygdala jene Symptome, welche sie selber ausgelöst hat, wieder als Gefahr wahrnimmt. 

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Hypothalamus

Er ist die zentrale Schaltstelle des autonomen Nervensystems und des Hormonsystems. Sobald er von der Amygdala ein Gefahrensignal erhält, aktiviert er zuerst das sympathische Nervensystem und dann auch die HPA-Achse, um Adrenalin und Cortisol freizusetzen.

Anschauliches Beispiel: Nach dem lauten Knall, den die Amygdala als Gefahr eingestuft hat, aktiviert der Hypothalamus das sympathische Nervensystem, sodass dein Herz schneller schlägt, deine Muskeln sich anspannen und du bereit bist für eine schnelle Reaktion.

CFS: Wenn der Hypothalamus die Stressreaktion chronisch aktiviert hält, führt dies immer wieder zu neuen Symptomen, die wiederum einen Fehlalarm in der Amygdala auslösen (vgl. limbische Loops). 

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Insula

Sie ist zentral für die Interozeption, also die Wahrnehmung innerer Körperzustände wie Herzschlag, Hunger oder Schmerz. Sie macht diese körperlichen Veränderungen bewusst wahrnehmbar, so dass man die körperlichen Anzeichen von Stress bemerkt.

Anschauliches Beispiel:: Nach dem Knall verknüpft die Insula die körperlichen Empfindungen (z. B. Herzklopfen) mit der emotionalen Angstreaktion, was zu einem bewussten Gefühl von Angst oder Unruhe führt.

CFS: Die Insula wird mit dem Fortschreiten von CFS immer empfindlicher und nimmt Körpersymptome mit einer immer grösseren Lupe wahr. Dies verstärkt die Angst und sendet ein Signal an die Amygdala zurück, dass die wahrgenommen CFS-Symptome gefährlich sind, obwohl dies in Wirklichkeit nicht (mehr) der Fall ist.
Zudem deuten jüngere Forschungsergebnisse darauf hin, dass die Insula unter chronischem Stress Immunreaktionen ohne tatsächliche Bedrohungen auslösen kann, was diesen Teufelskreis weiter verstärken würde.

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Hippocampus

Er spielt eine Rolle bei der Bewertung und Interpretation von Bedrohungen auf der Grundlage früherer Erfahrungen. Er hilft dabei, eine Situation im Vergleich zu früheren Erfahrungen zu bewerten, indem er Erinnerungen an ähnliche Gefahren oder sichere Situationen hervorruft.

Anschauliches Beispiel: Wenn du dich in einem sicheren Umfeld befindest und den lauten Knall hörst, kann der Hippocampus helfen, die Situation mit früheren, ungefährlichen Geräuschen zu vergleichen und die Amygdala zu beruhigen, sodass du nicht in Panik gerätst.

CFS: Er spielt eine wichtige Rolle bei der Konditionierung von externen Triggern (z.B. körperliche Aktivität) und Symptomen. Indem eine zunehmende Anzahl Trigger immer wieder zu Symptomen führen, entsteht eine unbewusste Programmierung, dass diese gefährlich sind. 
 

Durch diese und weitere Strukturen kann das Gehirn auf komplexe Weise auf innere und äussere Stressoren reagieren, indem es das autonome Nervensystem und die HHN-Achse aktiviert. Sie bilden die beiden primären Stresssysteme des Körpers.

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Das autonome Nervensystem (ANS)

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Das autonome Nervensystem steuert viele lebenswichtige Funktionen des Körpers. Es sorgt dafür, dass unser Herz schlägt, wir atmen und unsere Nahrung verdaut wird, ohne dass wir darüber nachdenken oder aktiv etwas dazu beitragen müssen. Man kann es sich wie einen Manager vorstellen, der entscheidet, welche Körperfunktionen gerade die meiste Energie zugeteilt bekommen, damit alles reibungslos funktioniert. Je nachdem, welcher Teil des Nervensystems aktiv ist, werden andere Körperfunktionen priorisiert. 

 

Sympathisches Nervensystem SNS

Dieses wird aktiviert, wenn der Körper auf eine Situation reagieren muss, die erhöhte Wachsamkeit oder Anstrengung erfordert, sei es bei Stress, Gefahr oder körperlicher Aktivität. Es ist sozusagen das Werkzeug, das die Kampf- oder Fluchtreaktion ausführt. Wenn es aktiviert wird, erhöht es u.a. die Herzfrequenz, den Blutdruck, beschleunigt die Atmung und schüttet Adrenalin aus, um den Körper auf eine schnelle Reaktion vorzubereiten.

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Parasympathisches Nervensystem PNS

Dieser Zweig des ANS fördert Entspannung, Regeneration und Heilungsprozesse im Körper. Sein Hauptnerv ist der Vagusnerv. Über komplexe Regelkreise, an denen unter anderem der Hypothalamus beteiligt ist, wird das PNS aktiviert, um den Körper nach Stressphasen zu beruhigen und die normalen Körperfunktionen wiederherzustellen.

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Obwohl die beiden Zweige des ANS oft als gegensätzlich beschrieben werden, können sie durchaus gleichzeitig aktiv sein. Man muss sie sich eher wie zwei Drehregler vorstellen, die das Gehirn je nach Situation aufdrehen kann. 

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Die HHN-Achse

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Die HHN-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse / engl. HPA-Achse) verbindet das Gehirn mit dem Hormonsystem. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, auf Stress zu reagieren, indem sie die Freisetzung des Stresshormons Cortisol steuert. Cortisol mobilisiert Energie, aktiviert kurzfristig das Immunsystem und reguliert den Stoffwechsel. Sobald der Stress nachlässt, reguliert sich die HHN-Achse durch eine Rückkopplungsschleife selbst und bringt das System wieder ins Gleichgewicht.

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Bei chronischem Stress werden die Cortisolwerte dauerhaft erhöht, mit negativen gesundheitlichen Folgen wie Insulinresistenz, Gewichtszunahme, Bluthochdruck, Infektanfälligkeit, uva.

 

In manchen Fällen und wenn dieser Zustand über einen längeren Zeitraum anhält, passt sich das Gehirn an die chronisch hohen Cortisolwerte an, indem es die Empfindlichkeit der Rezeptoren für Cortisol herunterreguliert (ähnlich wie eine Insulinresistenz bei Diabetes) - es kommt zu einer Dysregulation der HHN-Achse, wobei morgens niedrigere und abends oft höhere Werte auftreten. Dieser Zustand kann ebenfalls verschiedene gesundheitliche Probleme verursachen (ständige Müdigkeit, Schlafstörungen, niedriger Blutdruck sowie erhöhte Herzfrequenz, Reizbarkeit, depressive Verstimmung wie auch Angstzustände und erhöhte Stressanfälligeit). 

 

​​Zwischen HHN-Achse und ANS gibt es zudem wichtige Wechselwirkungen. Cortisol, das über die HHN-Achse ausgeschüttet wird, hat nicht nur die Funktion, den Körper auf anhaltenden Stress vorzubereiten, sondern beeinflusst auch das sympathische Nervensystem. Es kann die Sensitivität des sympathischen Nervensystems erhöhen, was bedeutet, dass dieses bei immer kleineren Stressoren aktiviert wird. Diese ständige Wechselwirkung kann bei chronischem Stress dazu führen, dass auch das sympathische Nervensystem dauerhaft aktiv wird. ​Man spricht dann von einer sympathischen Überaktivierung. 
 

Die beiden Stresssysteme (ANS & HHN-Achse) haben vielfältige Auswirkungen auf unsere Körperfunktionen:

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Mögliche körperliche Folgen

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Auswirkungen auf das Immunsystem

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In einer gesunden Stressreaktion hilft auch das Immunsystem mit, den Körper vor Gefahren zu schützen. Durch eine kurzfristige Immunaktivierung bereitet es den Körper auf Verletzungen oder Infektionen vor, die in einer bedrohlichen Situation auftreten könnten.

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Deshalb ist das Immunsystem eng mit den beiden Stresssystemen SNS und HHN-Achse verzahnt. Beispielsweise wirkt Cortisol (HHN-Achse) normalerweise entzündungshemmend. Bei langfristiger Erhöhung kommt es jedoch zu einer Cortisol-Resistenz der Immunzellen. Dies führt dazu, dass Immunzellen verstärkt entzündliche Zytokine (wie TNF-α, IL-6 und IL-1β) produzieren. Dasselbe passiert bei der Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin (SNS). Proinflammatorische Zytokine steuern und verstärken die Immunantwort, indem sie Entzündungsreaktionen initiieren, Immunzellen aktivieren, die adaptive Immunantwort modulieren und systemische Abwehrmechanismen wie Fieber auslösen.

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Diese entzündlichen Zytokine führen dazu, dass sowohl die HHN-Achse wie auch das sympathische Nervensystem SNS überaktiviert werden. â€‹Bei langanhaltendem Stress kann dies schlussendlich dazu führen, dass die wichtige Balance zwischen pro- und anti-inflammatorischen Zytokinen gestört wird, was zu einer chronischen Entzündungsreaktion führt. Hier spricht man auch vom sogenannten T1-T2-Shift - einer Verschiebung des Gleichgewichts zwischen Th1- und Th2-Zellen (T-Helferzellen des Immunsystems), wie es bei CFS oft beobachtet wird.​

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Zusätzlich kann chronischer Stress auch Autoimmunprozesse aktivieren. In mehreren Studien wurden bei einigen CFS-Patient:innen erhöhte Spiegel bestimmter Autoantikörper gefunden – insbesondere gegen beta-adrenerge und muskarinerge Acetylcholinrezeptoren. Diese Rezeptoren spielen eine wichtige Rolle im autonomen Nervensystem (z. B. Kreislaufregulation, Verdauung, Energiehaushalt). Das deutet auf eine Autoimmunreaktion gegen das autonome Nervensystem hin, was einige typische CFS-Symptome (z. B. Post-Exertional Malaise, Kreislaufprobleme) erklären könnte.

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Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System

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Akuter Stress führt kurzfristig dazu, dass Herzfrequenz und Blutdruck steigen, sich die Blutgefässe verengen (Vasokonstriktion) und das Blut schneller durch den Körper fliesst. Diese Reaktionen sind Teil einer sinnvollen Schutzfunktion des Körpers in Gefahrensituationen. Sie werden durch die Aktivierung des sogenannten sympathischen Nervensystems ausgelöst.

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Wenn Stress jedoch über längere Zeit anhält, kann das Herz-Kreislauf-System darunter leiden. Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin können die Fähigkeit des Körpers beeinträchtigen, Blutdruck und Gefässe richtig zu regulieren. Oftmals bleiben die Blutgefässe dabei dauerhaft verengt, der Blutdruck oder der Puls bleiben erhöht, und die Durchblutung verteilt sich ungleichmässig: In zentralen Gefässen (z. B. in grossen Arterien) kann der Blutfluss zu stark sein, während in kleineren, fein verästelten Gefässen die Durchblutung abnimmt. Eine Folge davon sind ständig kalte Hände und Füsse. 

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Dauerhafter Stress kann auch die Funktion des Endothels stören – das ist die innerste Zellschicht der Blutgefässe. Normalerweise produziert das Endothel unter anderem Stickstoffmonoxid (NO), eine Substanz, die dafür sorgt, dass sich die Gefässe weiten können. Wird weniger NO gebildet, bleiben die Gefässe enger, und die Durchblutung im feinen Kapillarsystem verschlechtert sich weiter. Dadurch kann es in bestimmten Geweben zu einem Sauerstoffmangel kommen (Hypoxie), es entstehen vermehrt schädliche Sauerstoffverbindungen (oxidativer Stress), und entzündliche Prozesse können angeregt werden.

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Gerade bei CFS-Patient:innen kann dies zu verschiedenen Problemen im Kreislaufsystem führen. Dazu gehören zum Beispiel Schwierigkeiten bei der Blutdruckregulation, ein zu schneller Puls beim Aufstehen (posturales Tachykardie-Syndrom POTS) sowie eine eingeschränkte Durchblutung des Gehirns und der Muskulatur – insbesondere bei körperlicher Belastung. Diese Durchblutungsstörungen könnten mitverantwortlich für typische Beschwerden bei CFS sein, wie Konzentrationsstörungen (Brain Fog), Muskelschwäche und schnelle Erschöpfung resp. Post-Exertional-Malaise PEM.

 

In diesem Zusammenhang verweisen wir auf die interessanten Erkenntnisse des Sportmediziners Prof. Dr. Dr. Perikles Simon: Gemäss seinen Aussagen (vgl. Video unten) zirkuliert das Blut von CFS-Patient:innen in vielen Muskeln nicht schnell genug, weshalb es zu einem Defizit an Sauerstoffaufnahme ins Zielgewebe kommt. Dies hat negative Folgen für körperliche Anstrengungen, weil dies sofort zu Überatmung führt. Dauert die Belastung dann länger als 30 Sekunden, führt dies bei stark von CFS Betroffenen zu einem hypoxischen Schaden, weil der Körper dies anschliessend nicht länger über anaerobe Stoffwechselprozesse kompensieren kann. Dies führt typischerweise ca. 2 Tage nach der Belastung zu maximalen Beschwerden (PEM). Im Bereich "Bewegung" gehen wir genauer auf die Konsequenzen für den Aufbau der körperlichen Leistungsfähigkeit ein (30-Sekunden-Regel). 

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​​​Auswirkungen auf  die Mitochondrien

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​Die Mitochondrien sind sind unsere "Kraftwerke in den Zellen" und für die Energieproduktion im Körper zuständig. Sie nutzen dabei eine Art „Fliessband“ namens Elektronentransportkette, um Energie aus Nahrung in die universelle Zellenergie ATP (Adenosintriphosphat) umzuwandeln. Sie ist zentraler Bestandteil der mitochondrialen Atmung. Diese wiederum ist direkt abhängig von der Lungenatmung. Bekommt der Körper zu wenig Sauerstoff funktioniert die mitochondriale Atmung nicht mehr und der Körper muss auf anaerobe Energiegewinnung (z. B. Milchsäuregärung) umschalten. Diese ist viel ineffizienter und führt zu einer Ansammlung von Laktat (Milchsäure), die zu Muskelermüdung, Schmerzen und Leistungseinbrüchen führen kann.

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Unter akutem Stress steigern die Mitochondrien kurzfristig die ATP-Produktion, um den erhöhten Energiebedarf im Körper und im Gehirn zu decken. Chronischer Stress überfordert jedoch diese Anpassungsfähigkeit. Ein dauerhaft hoher Cortisolspiegel kann das oben erwähnte Fliessband stören, sodass die Energieproduktion nicht mehr reibungslos funktioniert. Eine solche mitochondriale Dysfunktion kann u.a. zu einem Anstieg freier Radikale (oxidativem Stress) führen, welcher die Mitochondrien weiter schädigt und die ATP-Produktion verringert - eine Art Teufelskreis.

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Ein weiterer sich selbst verstärkender Teufelskreis besteht mit Blick auf das Immunsystem, indem sich mitochondriale Dysfunktionen und entzündliche Prozesse (proinflammatorische Zytokine) gegenseitig verstärken. 

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Nicht zuletzt haben auch die Arbeiten von Dr. Robert Naviaux für Aufsehen gesorgt, welche stark vereinfacht aufzeigen, dass aufgrund von chronischem Stress ATP nicht mehr zur Energiegewinnung verwendet wird, sondern als Signalstoff für zellulären Stress oder Gefahr an das Gehirn (Cell Danger Response).

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Auswirkungen auf den Darm

 

Es besteht eine enge Verbindung zwischen den Stresssystemen des Menschen und dem Darm, die als Darm-Hirn-Achse bekannt ist - insbesondere über den Vagusnerv. Diese Achse ist ein komplexes Kommunikationsnetzwerk zwischen dem Darm (insbesondere dem enterischen Nervensystem, ENS) und dem Gehirn. Es beeinflusst nicht nur die Verdauung, sondern auch Emotionen, kognitive Funktionen und das Immunsystem. Stresssignale vom Gehirn beeinflussen die Darmfunktion und umgekehrt.

 

Akuter Stress führt dabei lediglich zu einer kurzfristigen Unterdrückung der Verdauung, da diese für die Kampf-oder-Flucht Reaktion nicht notwendig ist. Symptome davon können Durchfall, Übelkeit oder Bauchschmerzen sein. Wir kennen das beispielsweise vom Lampenfieber.

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Chronischer Stress wiederum hat auch hier viel gravierendere Folgen. Er beeinträchtigt beispielsweise die Produktion wichtiger Hormone im Darm, wie Serotonin und Melatonin. Dies kann Auswirkungen auf Stimmung und Schlaf haben. Zudem kann chronischer Stress die Darmschleimhaut schädigen und zu Verdauungsproblemen, Reizdarm sowie zu einem "löchrigen Darm" (Leaky-Gut) führen. Dies ermöglicht das Eindringen schädlicher Stoffe in den Blutkreislauf und erhöht die Infektanfälligkeit, weil das Immunsystem des Darms geschwächt wird. Nicht zuletzt besteht auch ein Zusammenhang zwischen Darmgesundheit und psychischer Gesundheit, wie Angststörungen und Depressionen.

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Auswirkungen auf die Atmung

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Wenn das sympathische Nervensystem aktiviert wird, hat dies auch Auswirkungen auf die Atmung. Jeder kennt dies: unter Stress atmen wir mehr, schneller und oberflächlicher. Dabei laufen wir Gefahr, zu viel Kohlendioxid auszuatmen, was im Extremfall zu Hyperventilation führt. Dieses Hyperventilieren äussert sich bei chronischem Stress sehr subtil und meist ohne, dass Betroffene dies bemerken. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von "Überatmen". 

 

Überatmung hat einen nachteiligen Effekt auf zwei Gase, die grundlegend für die Sauerstoffversorgung unseres Körpers sind: Stickstoffmonoxid (NO) und Kohlendioxid (CO2). Wenn wir durch die Nase einatmen werden grosse Mengen an NO innerhalb der nasalen Atemwege freigesetzt. Das NO hilft, die Blutgefässe in den Lungen zu weiten und steigert damit die Sauerstoffaufnahme ins Blut. Wie viel Sauerstoff anschliessend aus dem Blut an Gewebe und Organe abgegeben werden kann, hängt vom sogenannten Kohlendioxid-Partialdruck ab - also dem Kohlendioxidanteil im arteriellen Blut.

 

Wenn wir unter Stress zu viel atmen (und damit zu viel CO2 ausatmen) wird der Sauerstoffmangel in unserem Körper immer grösser (Bohr-Effekt). Von dieser Mangelversorgung ist auch das Gehirn betroffen, was bestehenden Stress und Ängste weiter verstärkt und zu einem Teufelskreis führen kann. Wenn dies über Monate anhält, führt dies dazu, dass das Atemzentrum des Gehirns dafür "umprogrammiert" wird, einen niedrigeren CO2-Partialdruck zu tolerieren. Wenn die Chemorezeptoren im Gehirn aber erstmal so beeinflusst sind, bleibt die veränderte Atemgewohnheit auch dann weiter bestehen, wenn der eigentliche Stress beendet ist.​

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Gemäss unserer Hypothese liegt die Ursache von CFS in einem "Softwarefehler" im Gehirn. Dieses gerät durch Phänomene wie Limbic Kindling in einen permanenten Alarmzustand und lernt mit der Zeit ein überaktives Bedrohungs-/Stressmuster. Aus den Ausführungen auf dieser Seite wird ersichtlich, dass dies zu vielfältigen Fehlfunktionen im ganzen Körper führen kann. Die daraus resultierenden Symptome sind also nicht "eingebildet" oder nur "psychisch", sondern sehr real. 

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Die Kaskade an körperlichen Fehlfunktionen verstärkt sich zudem gegenseitig und führt zu unterschiedlichen "Teufelskreisen" im gesamten Organismus. Da jeder Mensch anders auf Stress reagiert, zeigt sich das Beschwerdebild von Patientin zu Patientin jedoch sehr unterschiedlich. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum es so viele „Untergruppen“ von CFS-Patient:innen gibt. Aus streng biomedizinischer Perspektive könnte diese Vielzahl unterschiedlicher Symptomkonstellationen den Schluss nahelegen, dass es sich um verschiedene Ätiologien (Ursachen) handelt. Wenn man jedoch eine Fehlregulation im Gehirn als zentralen Antriebsmechanismus in Betracht zieht, lässt sich die Vielfalt der körperlichen Symptome durch eine gemeinsame Ursache erklären.

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Wenn die Fehlfunktionen und Symptome von CFS nicht auf strukturellen Schäden beruhen, sondern sogenannt "neuroplastisch" sind, ist dies eine gute Nachricht für alle Betroffenen! Die Beispiele vieler Genesener aus der ganzen Welt zeigen eindeutig: macht man den "Softwarefehler" im Gehirn rückgängig, verschwinden auch die Fehlfunktionen und Symptome. Sie sind reversibel!

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